Anweisung zur Krankheitsberichterstattung
Entnommen aus Constantin Hering’s Homöopathischer Hausarzt (14. Auflage, 1875.Nachdruck beim Verlag Bernd von der Lieth) eine gute Beschreibung der Aufnahme der Krankheitsdaten, welche Patienten hilfreich sein kann um sich auf einen Besuch beim Homöopathen vorzubereiten:
Als deutscher Arzt in Madrid behandeln wir viele deutschsprachige Patienten. Einige von ihnen baten uns dies hier zu publizieren: Kurzgefaßter Krankenbriefsteller, oder Anweisung, wie man dem Arzte Bericht erstatte. Eben so nöthig, als Feder, Tinte und Papier, ist Poststempel und Arztlohn. Gib so viel du kannst; bist du arm, sag’s kurz; aber versprich dem Arzte nichts, denn es glaubt es doch keiner; versprich nicht einmal einen Gotteslohn, denn das ist des Arztes eigne Sache. schilt nicht auf andere Aerzte, denn das zeigt nur dem Empfänger was ihm auch bevorsteht. ERSTENS schreibe kurz und bündig was dich plagt und was du möchtest los werden, und meide dabei alle gelehrten Ausdrücke, falls du dergleichen solltest aufgeschnappt haben. Schreibe was du fühlst, und wie. Es ist wohlgethan, wenn du das erst für dich selber auf einen halb umgebrochenen Bogen schreibst, Raum dazwischen und daneben, und, wenn du fertig bist, für den Arzt abschreibst, das erste aber dir zum späteren Vergleichen aufhebst.
ZWEITENS mach’s vollständig, und bestimme bei jedem Zeichen a) die Art wie du fühlst genau, scheue dich nicht es wie die Kinder zu machen, deine Empfindungen mit andern bekannten Dingen oder solchen, die man sich denkt, zu vergleichen; wenn’s sticht, ob es sticht wie mit einer feinen Nadel, oder einer großen, wie mit Stacheln oder einem Messer; wenn es klopft, ob wie ein kleines Hämmerchen oder ein großer Hammer; schneidet es wie eine Glasscherbe oder wie ein stumpfes Messer u.s.f. b) Sage genau wo du etwas fühlst, bestimme den Ort bis auf den Zoll; nimmt ein Schneider Maß, warum nicht der Kranke auch? Ueberall gibt’s feste Orte am Leibe, woran man den Abstand messen kann, und jede Richtung läßt sich durch zwei Orte, jeder Ort wieder durch zwei Richtungen bestimmen; vergiß niemals rechts und links, vorn und hinten, oben und unten. c) Dann überdenke deinen Tag, und schreib‘ auf, was du des Nachts merktest, welche Stunde der Nacht; des Morgens, ob vor Tage, beim Erwachen, nach dem Erwachen, nach dem Aufstehen, beim Waschen, nach dem Waschen, vor dem Frühstück, dabei oder nachher; und so bedenke alles, wenn dieses oder jenes Zeichen mehr oder weniger bemerklich sein sollte, vor, bei, oder nach andern Verrichtungen des Leibes oder der Seele. Alles, was eine Stunde hält, bestimme genau, auch wenn’s täglich früher oder täglich später kommt. d) Ferner bedenke, ob Stellungen des Leibes, diese oder jene Lage, diese oder jene Bewegung Einfluß hat auf irgend eine deiner Empfindungen; ob Wärme oder Kälte darauf wirkt, Wind und Wetter, die Mond- und Jahreszeiten, und schreib’s dazu, wenn du dergleichen bemerken solltest.
DRITTENS. Hast du auf diese Weise alles Einzelne, was dich plagt, alles, was du am liebsten weg haben möchtest, aufs Papier gebracht und so vollständig beschrieben, wie der Arzt es kennen muß, damit er die Mittel dagegen zu wählen im Stande sei, so bedenke nun, daß, wie vollständig auch das Bild sein möge, es doch nur das ist, was du deine „Krankheit“ nennst. Der Arzt wird vielleicht dadurch in den Stand gesetzt, deiner Krankheit einen Namen zu geben. Aber nur der Quacksalber und der ganz gemeine Doctor kann auf eine „Krankheit“ loscuriren. Jeder wirkliche Arzt wird sagen: Deine Krankheit geht mich nichts an, KRANKHEITEN kann gar niemand heilen, denn die haben ihren Bestand nur in den Büchern, es ist unsinnig dergleichen behandeln zu wollen; es ist Betrug, es vorzugeben. Der wahre Arzt hat es immer und einzig nur mit KRANKEN zu tun, die kann er heilen oder doch bessern. Darum gib eine Beschreibung deiner selbst; läßt sich’s thun, leg‘ ein wirkliches Lichtbild oder eine Photographie bei, was dem Arzte eine große Hilfe wäre, also dir. Melde Alter, Geschlecht, Leibes- und Gemütbsbeschaffenheit (gewöhnlich Temperament genannt), Farbe der Haare und Augen, des Gesichts, und was etwa sonst noch zu bemerken; etwaige Leibesschäden und alles bis auf die Warzen im Gesicht, an den Händen u.s.f. Dann setze noch hinzu, was du sonst etwa zu bemerken hast über solche Teile des Leibes oder der Verrichtungen, die bisher in deinem Berichte noch nicht erwähnt worden waren, z.B. Seelenfähigkeiten, Wahrnehmungen im Kopfe, an den Augen, Ohren, der Nase, beim Sehen, Hören, Riechen; besonders im Verlangen nach Essen und Trinken, was du gern ißt oder nicht gern, was dir gut bekommt oder übel, auch wie du dich nach dem Essen befindest, und zwar entweder sogleich oder später, und wie lange nachher; wie die täglichen Ausleerungen beschaffen find, wann, wie oft, besonders das Harnlassen; desselbigengleichen alles was die Geschlechtsverrichtungen betrifft und bei den Weibern, alles, was vor, bei und nach ihrem Mondlichen bemerkt wird, ob dies nach 28 Tagen kommt, oder vorsetzend, oder nachsetzend, ob mit Vollmond oder Neumond. Bemerke, ob du geneigt oder nicht geneigt bist, dir Bewegung dieser oder jener Art zu machen, und was dabei sich zeigt, und bei den verschiedenen Anstrengungen, ob warmes oder kühles Verhalten dir mehr zusagt, ob du Verkältungen ausgesetzt bist, und was darnach erfolgt; oder schädlichen Gerüchen und dergl. mehr.
VIERTENS kann eine Geschichte deines Krankwerdens nützlich sein, was für sogenannte „Krankheiten“, und wie lange her du sie gehabt. Erzähle frühere Missbehandlungen, so viel dir davon bekannt ist, was alles mit dir vorgenommen wurde und was du versuchtest. Lassen sich die Namen der Arzneien erfahren, welche verschluckt wurden, so meld‘ es. Vor allem aber ist es wichtig, einen genauen Bericht zu geben, in welcher Folge sich die verschiedenen Beschwerden eingestellt haben. Ebenso wie es keinem Kranken zusteht, bestimmen zu wollen darüber, was er durch den Arzt geheilt haben will und was nicht, sondern es nothwendig ist, daß der Arzt alles kenne, weil alle Heilung darauf zielen muß, den ganzen Menschen zu heilen, dies aber immer nur von Innen nach Außen, oder von Oben nach unten geschehen kann, ebenso muß der Arzt auch genau die Ordnung erfahren, in welcher alles entstand. Das ist auch eines jener großen Gesetze, welche Hahnemann entdeckte, daß bei jedem Kranken die verschiedenen Beschwerden, die sich nach und nach einstellten, immer IN DER UMGEKEHRTEN ORDNUNG IHRES ENTSTEHENS entfernt werden müssen, also die letzten zuerst, und die ältesten zuletzt, und es läßt sich das nicht ändern; wenn der Kranke und sein Arzt sich nicht genau darnach richten, so wird nichts aus der Heilung, und der Kranke wird entweder gar nicht gesund, oder bleibt’s nicht lange. Darum ist es auch so wichtig, daß alles Neue, was der Kranke während der Behandlung bemerkt, sorgfältig aufgeschrieben werde, ebenfalls wann diese oder jene Beschwerden aufhören, und zwar genau in welcher Ordnung und Folge. Wenn ein Arzt nicht großen Werth auf alles dies legt, so taugt er nichts oder versteht nichts, und wird wenig leisten.
So schreibe den Brief und spare das Papier nicht, sondern mache fleißig neue Absätze, setze Zahlen zu den verschiedenen Zeichen deines Leidens, damit es dem Arzte und dir selber leicht wird, in späteren Briefen durch die Angabe der Zahl die vielen Wiederholungen zu ersparen. Nun versteht sich’s von selber, daß Name und Ort, wohin die Antwort zu schicken sei, angegeben werden, und zwar genau und leicht leserlich. Vor allen Dingen aber vergeßt nicht, Euern Brief auf der Post zu bezahlen. Bedenkt, was für eine große Unverschämtheit sich aus vielen kleinen zusammenballen könnte. Noch Eines: Schreibt euch ein Doctor in gelehrten Ausdrücken und kauderwelscht, so daß ihr den Petri oder den Heinsius herbeiholen müßt, um zu verstehen, was er meint, so nehmt lieber gleich einen andern, denn der taugt sicher nichts, und hätte er in allen fünf Welttheilen Kranke zu behandeln, und wär‘ er ein geheimer, Hof-, Sanitäts-oder wer weiß was noch für ein Rath. Es giebt auch Unrath unter selbigen.